Please activate JavaScript!
Please install Adobe Flash Player, click here for download

DFB Journal 03-2015 - Cellous Traum

AMATEURFUSSBALL

03 | 2015 DFB JOURNAL 83 ›› AMATEURFUSSBALL Text Sven Winterschladen DasParadiesistRödinghausen,eine10.000-Einwoh- ner-Gemeinde am östlichen Rand von Nordrhein-West- falen. Das Paradies ist ein Zimmer im Haus einer 73-jäh- rigen Frau, bei der er wohnt und mit der er sich sehr gut versteht. Die Verantwortlichen des SV Rödinghausen haben ihm diese Unterkunft besorgt. „Die Zustände im Flüchtlingsheim waren schwierig“, sagt der Sportliche Leiter Stefan Grädler. „Wir wollen seine Integration vor- antreiben. Das ging dort nicht so gut.“ Auch deshalb absolviert der 19-Jährige seit dem 1. Oktober ein freiwil- liges soziales Jahr bei dem Verein. Er soll sein Deutsch auf diesem Weg weiter verbessern. Diallo sitzt an diesem schönen Herbstmittag in der Zentrale des ambitionierten Klubs. Es ist eine erstaunli- che, vielleicht sogar eine einmalige Geschichte, die Diallo mit leiser Stimme erzählt. Sie beginnt in seiner Heimat, in Yembering, im staubtrockenen Niemandsland von Gui- nea. Sie endet beim SV Rödinghausen, einem ambitio- niertenViertligisten.BeideSeitensindfroh,dasssiezuei- nandergefunden haben. Diallo ist noch nicht mal ein halbes Jahr in Rödinghausen. Aber er dürfte inzwischen einer der bekanntesten Bewohner des Ortes sein. Das Fernsehenwarda,großeTageszeitungenebenfalls.Gedul- dighaterihnenerzählt:„IchwolltenachEuropa.Ichhatte immer dieses Ziel. Mein Vater hat mich gefragt, wie das gehen soll. Ohne Pass, ohne Geld, ohne Plan. Aber ich habe mich einfach auf den Weg gemacht.“ Der Fußball und das nötige Glück waren seine wichtigsten Begleiter. SeineReisedauertziemlichgenauzweiJahre.Erstar- tet in Guinea. Richtung Norden. Er hat nur eine Tasche mit etwas Kleidung dabei und ein wenig Geld. Manchmal hat er Glück und kann bei fremden Leuten im Auto mitfah- ren, oft muss er die Strecke zu Fuß zurücklegen. Wenn es nicht anders geht, schläft er unter freiem Himmel oder in einemprovisorischenZeltausPlastikplanen.AuchdieAngst ist sein ständiger Begleiter. Aber er findet immer wieder Menschen, die mit ihm Fußball spielen. Das lenkt ihn ab, dasnimmtihmnichtdenMut,dasgibtihmHoffnung.Aber es gibt natürlich auch Probleme mit Polizisten, Soldaten und Zollbeamten, in Algerien und Marokko auch mit der Bevölkerung. Aber er löst sie alle. Manchmal auf legalem Weg, meistens aber mit ein wenig Bestechungsgeld, das er sich vorher irgendwo hart erarbeitet hat. Von Marokko aus geht es über das Mittelmeer bis an die Küste Málagas. Als er dort ankommt, hat er den schlimmstenTeilhintersichgelassen.ErhüpftvomBoot ins knietiefe Wasser und ist am Ziel seiner Reise ange- kommen, vorerst. Denn in Spanien wird er nicht richtig glücklich. Von Málaga geht es nach Barcelona. Dort ver- dient er ein wenig Geld mit Autowaschen auf der Straße. Das verwendet er für ein Zugticket nach Deutschland. Es ist der Zeitpunkt, an dem diese wundersame Geschichte ein vorläufiges Happy End findet. Denn als Diallo eines Abends in einem Internetcafé in Steinheim imKreisHöxterdieBundesligaschaut,kommtermiteinem Mann ins Gespräch. Es ist Haydar Özdemir, er ist Trainer eines B-Ligisten um die Ecke. Sie sprechen über Fußball. Er fragt Diallo, ob er mal zum Training kommen wolle. Diallo muss nicht lange überlegen. Zwei Tage später sitzen sie gemeinsam im Auto auf dem Weg zum Platz desTSCSteinheim.ErhatzumerstenMalinseinemLeben Fußballschuhean.EinenLederballkenntereigentlichnur ausdemFernsehen.InseinerHeimathaterbarfußgespielt, auf der Straße, mit einer Papierkugel oder mit alten Lum- pen. Trainer Özdemir sieht sofort, dass dieser Junge viel zu gut für seine Mannschaft ist. Er vermittelt ihn nach Rödinghausen,woTrainerMarioErmischdirektdasTalent Cialloserkennt:„ErhateineüberragendeTechnik.Aberman sieht, dass er nie zuvor irgendwo professionelles Training hatte. Die Grundlagenausdauer müssen wir aufbauen, auch taktische Defizite sind noch offensichtlich.“ AberErmischkümmertsichumseinenneuenSchütz- ling. Und der dankt es mit teilweise großartigen Leistun- gen.ErhatsichlängstzumPublikumslieblingentwickelt. Nicht wenige im Umfeld glauben, dass er den Sprung in den Profifußball schaffen kann. Er ist ja erst 19 – und er träumt vom FC Bayern. „Im Fußball ist alles möglich“, sagt Diallo. Er hat schon ganz andere Hindernisse über- wunden. Er hat sich schon einmal einen Traum erfüllt.

Seitenübersicht