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SHS Jahresbericht 2012

Sozialwerk

hatte,umdasSpiel„überdieBühnezubrin- gen“. Auch viereinhalb Jahre später ist der Böllerwurf für Oliver Streicher viel mehr als ein „besonderes Vorkommnis“. Für ihn ist nichtsgutüberdieBühnegebracht.Erleidet an einem Tinnitus. Dieses ständige Pfeifen. DiesesdauerndeGeräusch.Aufdemrechten Ohrhater40ProzentderHörkraftverloren, muss mit 34 Jahren ein Hörgerät tragen. Auch der seelische Schaden ist nie völlig verheilt. Noch immer muss er alle zwei Wochen zur Gesprächstherapie. „Ich meide Menschenmengen, wache nachts dauernd auf.SelbstmitmeinenKinderngingichnicht mehr ins Schwimmbad“, sagt er. „Eine Zeit lang war ich mir selbst fremd.“ Irgendwann hat er dann seinen Job verloren. Weil er nicht mehr am Spieltag eingesetzt werden wollte. Bis heute ist er arbeitslos. Spieltage waren immer lange Tage. Sorgen aber habe ichmirvordem5.April2008niegemacht.“ Vier Jahre lang ging er danach in kein Sta- dion mehr, auch in kein leeres. Einigen wenigen gelingt es immer wieder, gefährliche Pyrotechnik ins Stadion zu schmuggeln. „Trotz aller Sicherungsmaß- nahmen“, betont Hendrik Große Lefert, der SicherheitsbeauftragtedesDFB. „Hierfehlt leider noch bei manchen das Verständnis, dass es wegen der Gefahren und auch der damit verbundenen Haftungsfragen hier keinenSpielraumgibt.“DabeisinddieTäter beim Verstecken der gefährlichen Stoffe sehrerfindungsreich.„Vonderausgehöhlten Schuhsohle bis zum Fahnenhalter habe ich schon einiges gesehen“, sagte ein Polizei- beamter dem Magazin „Im Spiel“. Jürgen Bergmann hat Oliver Streicher ein paar Tage nach dessen Entlassung aus dem Krankenhaus zu Hause besucht. „Wir haben unsimNamenallerClub-FansunddesVereins beiHerrnStreicherentschuldigtunddiebes- ten Genesungswünsche übermittelt“, sagt er. Seit zwölf Jahren ist Bergmann Fanbe- auftragter beim Club. Er weiß, dass Fans bei Auswärtsspielenmartialischauftreten,dass auchdurchLautstärkesignalisiertwird,dass man sich nicht versteckt. Alles okay, alles im Rahmen. Das Werfen eines Böllers im vollgepacktenStadionaberistesnicht.Berg- mannsagt:„Dasisteinfachgemeingefährlich. SelbstbeiFans,dieLeuchtfackelnalsStilmittel leidenschaftlich gelebter Stadionkultur ver- teidigen, sind Böller verpönt. Wer so einen Böller in die Richtung von Menschen wirft, handelt absolut fahrlässig. Dafür fehlt mir jedesVerständnis.“SeitFrankfurtgabeskei- nen schwerwiegenden Vorfall mehr durch einen Böllerwurf eines Club-Anhängers. Der Fußball hat Oliver Streicher nicht ver- gessen: DFB-Präsident Wolfgang Niersbach überreichte ihm einen Scheck in Höhe von 10.000 Euro – möglich gemacht durch eine gemeinsame Aktion der Vereine Eintracht Frankfurt und des 1. FC Nürnberg, der Bun- desliga-Stiftung und der DFB-Stiftung Sepp Herberger. Auf Einladung des DFB-Präsi- denten wird Streicher mit seiner Familie bald bei einem A-Länderspiel zu Gast sein. „Ichbinsehrdankbardafür“,sagtStreicher. „Die Wertschätzung hat mich überwältigt, ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Ich war gerührt.“ Er verdrängt nicht mehr, ist auch nicht mehr blind vor Zorn. Immer noch spürt er diese Angst,dassausdemNichtsetwasSchlimmes passieren könnte. Doch die Angst lähmt ihn nicht mehr. Für die Fotos dieser Geschichte geht Streicher zum ersten Mal wieder ins Frankfurter Stadion. Er atmet etwas flach, wirdsehrstill,aberesgehtschon.Heuteweiß er:„FrüherhätteichsoeinenVorfallvielleicht auch bagatellisiert und gesagt: ‚So schlimm istdasnicht.’JetzthabeichameigenenKör- per erlebt, dass so ein Angriff langfristige Folgenhat–fürmichundfürmeineFamilie.“ Die Antworten aber fehlen Oliver Streicher noch immer: Was hat der Böllerwerfer damalsnurgedacht?Undwas,umHimmels willen, hat das mit Fußball zu tun? Stichwort: „DFB-Sozialwerk“ Es war der ausdrückliche Wunsch von Sepp und Eva Herberger, dass ihr Privatver- mögen in Not geratenen „Fußballern“ zugutekommt. „Der Ertrag des in die Sepp- Herberger-Stiftung eingebrachten Nachlasses ist vom übrigen Vermögen der Stiftung getrennt zu verwalten und soll mit Vorrang verwendet werden zur Unter- stützung schuldlos in Not oder wirtschaftliche Bedrängnis geratener Spieler und deren Familien“, so haben es die Eheleute in ihrem Testament verfügt. Mit dem DFB-Sozialwerk wird bis heute bei schweren Schicksalsschlägen geholfen. Meist auf Hinweis der DFB-Landesverbände oder von Fußballvereinen. Unterstützt werden beispielsweise verunfallte Sportler oder Hinterbliebene bei Todesfällen. Bei der Scheckübergabe: Streicher (Zweiter von links) mit (von rechts) DFB-Präsident Wolfgang Niersbach sowie den Kuratoriumsmitgliedern der Sepp-Herberger-Stiftung Uwe Seeler und Otto Rehhagel.

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