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Tätigkeitsbericht 2013 - ROGÉRIO PEREIRA

Auf den Vater wartend

12 ROGÉRIO PEREIRA, 1973 in Galvão (SC) geboren, ist Jour- nalist, Schriftsteller und Herausgeber. 2000 gründete er in Curitiba mit Rascunho eine der wichtigsten Literaturzeitschriften Brasiliens. Pereira ist Leiter der Staatsbibliothek Biblioteca Pública do Paraná. Im Oktober 2013 erschien sein Debüt­roman Na escuridão, amanhã (Im Dunkeln, morgen). Seine Erzählung Der schwarze Sohn Gottes wurde auf Deutsch in der gleichnamigen Anthologie von Luiz Ruffato (Verlag Assoziation A, 2013) veröffentlicht. FUSSBALLKULTUR ROGÉRIOPEREIRA–AUFDENVATERWARTEND ROGÉRIO PEREIRA AUF DEN VATER WARTEND Nie habe ich Vater mehr gehasst. Ich wartete auf ihn vor der Haustür. Er kam die steinige Straße herunter. Wir hatten das Land erst vor Kurzem verlassen. Jetzt mussten wir Beton- und Asphaltboden bear­ beiten. ­Allmählich würden wir uns an das Geräusch des neuen Lebens gewöhnen. Hinter dem Holzhaus haben wir unser Stadion errichtet – ein arm­­seliges Maracanã, umgeben von Zedern und einem schüchternen Graben. Unser Netz: die Rückseite eines Schuppens, in dessen Innereien dickbäuchige Ratten schliefen. Wir waren Migranten in einer Welt, ­die uns Furcht ­einflößte. Der Vater trägt das Päckchen. Und er kommt auf mich zu. Ich warte auf ihn. Meine Nackenwirbel pulsieren vor Spannung. Ein Knoten knapp vorm Zerspringen im Gebrüll des uralten Tiers. Er läuft langsam, als wolle ­ er die Zeit einfrieren, den Moment lähmen, in dem er dem Sohn das Brot gibt, das nie seinen Hunger stillen wird. Ich hasse dich so sehr Vater, an diesem unendlichen Nachmittag. Ich hatte es schon meinen Freunden angekündigt. Mein Warten war ihr Warten. Wir waren eine Horde Gnus am Rande eines ausgetrockneten Flusses, ohne Krokodile. Wir würden in unser Fantasiestadion sprinten. Endlich wären wir wie kleine Götter, fähig zu kleinen ungehörigen Wundern. Mein Vater streckte mir die Hände entgegen. Auf ihnen, das Päckchen. Eine Nachahmung des Weihnachts­ mannes, dessen Kleider eine lächerlich traurige Figur von ihm abgaben. Bitte, mein Sohn. Ich riss es mit allen Kräften eines neunjährigen Jungen an mich. David und Goliat tauschten Streicheleinheiten und Höflichkeiten. Ich habe das grünliche Papier aufgerissen, wie ein Ausgehungerter das Kleid seiner Liebhaberin zerreißt. Um mich herum, fiebernde Augenpaare. Endlich würden wir den aus­­­­­­­ geliehenen Plastikball aufgeben. Wir hätten unseren Ball: groß, weiß, ­gegerbtes Leder. Das zerknüllte Papier, die Enttäuschung. Ein kleiner Ball, dunkle Farbe, aus Gummi, er stach seine Stacheln in meine Handfläche. Gefällt er dir, mein Sohn? Die Frage des Vaters verlor sich in nicht zu ­brechender Stille. Schweigsam und resigniert begaben wir uns in Rich- tung unseres Stadions. Ich trug den Hass unter meinem Arm. Der kleine hässliche Ball – verdammtes Gummi – verwandelte sich in Kürze. Wir erfanden den perfekten Ball. Unser Schweigen wurde eine lustige ­Toberei. Die lärmenden Gnus schleckten den reißenden Fluss. Krokodile erschreckten uns nicht. Wir erfanden Dribblings für diesen wahnsinnig springenden Ball. Unsere Füße litten darunter, ihn zu ­beherrschen. ­Allmählich zähmten wir seine Tobsucht. Wir dribbelten ­ und schossen ­ihn durchs Leben. Es schmerzt weniger, den Vater zu hassen, wenn man glücklich ist. DER TEXT AUF DEN VATER WARTEND IST EIN BEITRAG VON ROGÉRIO PEREIRA FÜR DIE BRASILIANISCHE AUTOREN-­NATIO­ NALMANNSCHAFT ZUR LESUNG AM 12. OKTOBER 2013 IM KULTURSTADION

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